New Model Army im Capitol Hannover liefern einen Abend, der die lange Geschichte der Band mit klarer Gegenwart verbindet. Der Club ist voll, die Distanz zwischen Bühne und Saal gering, die Reaktionen direkt. Von Beginn an dominiert eine schnörkellose, konzentrierte Spielhaltung: keine Effekte um der Effekte willen, sondern Songs, Übergänge und eine Show, die Präzision über Pomp stellt. Entscheidend ist, wie selbstverständlich das Repertoire atmet. Bekanntes wird nicht museal präsentiert, Neues nicht erklärt – alles fügt sich in eine Erzählung, die auf Substanz und Timing vertraut.
„Snelsmore Wood“ als Startsignal

Der Auftakt mit „Snelsmore Wood“ setzt einen rauen, rhythmisch fokussierten Ton. Justin Sullivan steht mit der Akustikgitarre im Zentrum, sein Anschlag definiert den Puls, die Stimme führt eng und öffnet in den Refrains das Feld. Die Themen scheinen auf, ohne ausgestellt zu werden: Erinnern, Entlarvung, Unruhe. Entscheidend ist die musikalische Umsetzung. Der Song etabliert eine Spannung, die sich über den ganzen Abend hält: dicht genug, um zu tragen, offen genug, damit Nuancen ihren Platz finden. Das Publikum nimmt die Dynamik die sich auf der Bühne entwickelt dankend auf.
Fünf Musiker, klarer Sound
Die aktuelle Formation arbeitet mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, Keyboards und zusätzlicher Percussion in einem Klangbild, das organisch bleibt. Gitarrenlinien schneiden und verweben, der Bass trägt, das Schlagzeug zeichnet Konturen statt bloßer Lautstärke. Wo es passt, entstehen mehrstimmige Gesangspassagen, die Stabilität geben, ohne den Fokus zu zerstreuen. Die Abmischung lässt Raum für Details: Die Stimme von Justin Sullivan ist prägnant, ohne den Bandklang zu dominieren. So entsteht eine Tiefe, die den Club nicht überfrachtet, sondern ihn nutzt.
„Unbroken“ im Rücken, 45 Jahre im Blick
Formell tourt die Band auf Basis des 2024 erschienenen „Unbroken“. Praktisch aber kuratiert sie einen Querschnitt, der verschiedene Schaffensphasen in eine geschlossene Abfolge bringt. Die Setlist variiert von Abend zu Abend; in Hannover wirkt sie wie ein Bogen, der ältere Stücke nicht verklärt und neuere nicht rechtfertigt. Alles steht auf derselben Bühne, mit derselben Genauigkeit. Das erklärt, warum das Konzert nicht wie eine historische Schau wirkt, sondern wie eine gegenwärtige Positionierung. New Model Army liefern kein Rückspiegel-Programm, sondern eine Gegenwartslesung des eigenen Katalogs.
Hymnen, die tragen: „Vagabonds“ und „51st State“
Wenn „Vagabonds“ in den Zugaben erscheint, entsteht einer der intensiven Momente des Abends. Die charakteristische Melodik findet live ihre Erdung in Rhythmusgruppe und Gitarrenarbeit, die Halle formt den Chor, ohne dass es angefeuert werden müsste. „51st State“ steht mit jener Prägnanz, die der Nummer seit Jahrzehnten eigen ist. Pointen und Schärfen sitzen, das bekannte Mitsingen entsteht aus der Passage selbst, nicht aus Routine. Beide Titel zeigen, wie die Band mit ihren Hymnen umgeht: respektvoll im Umgang mit der Herkunft, entschieden in der Umsetzung, strikt im Blick auf das Hier und Jetzt.
Dialog der Zeiten: von „Notice Me“ zu „If I Am Still Me“
Besonders markant ist die innere Architektur des Sets, in dem Stücke über Jahrzehnte hinweg miteinander sprechen. Wenn auf „Notice Me“ ein Titel wie „If I Am Still Me“ folgt, eröffnet sich ein Resonanzraum jenseits von Anekdoten. Selbstbild, Außenblick, Reibung – all das wird musikalisch verhandelt, nicht didaktisch erklärt. Die Band nutzt Form und Dynamik als Erzählmittel: Wo Worte verdichten, halten Rhythmik und Artikulation die Spannung; wo Energie anzieht, bleiben die Texte lesbar. So entsteht ein Zusammenhang, der ohne große Gesten auskommt und dennoch Wirkung entfaltet.
Präsenz ohne Pose
Justin Sullivan prägt den Abend durch Genauigkeit statt Theatralik. Seine Präsenz entsteht aus Timing, Artikulation und einem Gitarrenspiel, das Rhythmus und Akzent zugleich liefert. In den ruhigeren Momenten liegt die Kraft im Atem der Phrasen; in dichteren Passagen wird die Stimme zum zusätzlichen perkussiven Element. Diese klare Linie trägt durch den Abend und verankert die Band in einer Haltung zur Arbeit: spielen, nicht demonstrieren; fokussieren, nicht überfrachten. Genau deshalb bleiben selbst vertraute Nummern frisch – sie werden nicht im Format konserviert, sondern im Moment gezeichnet.
Das Capitol Hannover perfekter Ort
Das Capitol Hannover erweist sich als passender Resonanzkörper: nah genug für Details, groß genug für kollektive Energie. Die Reaktionen aus dem Saal sind früh, aber kontrolliert; Chöre entstehen organisch und tragen, ohne die Bühne zu übertönen. Die Show hält sich an die Prinzipien der Musik. Das Licht setzt Akzente, öffnet Räume, zieht sich dort zurück, wo Engführung gefragt ist. Der Sound bleibt transparent, mit klaren Konturen im Schlagzeug, differenzierten Gitarren und einer Stimme, die präsent ist, ohne die Balance zu kippen. Das Ergebnis ist eine Aufführung, die Präzision vor Zurschaustellung stellt.
Gegenwart im langen Bogen
Über zwei Stunden entsteht eine Erzählung, die Vergangenheit und Gegenwart nicht gegeneinander aufrechnet, sondern miteinander verschränkt. New Model Army im Capitol Hannover zeigen eine Band, die ihre Geschichte kennt und sie produktiv nutzt. Ältere Stücke behalten Profil, neuere behaupten sich ohne Schutzschirm, Übergänge gelingen ohne erklärende Zwischentöne. Am Ende bleibt der Eindruck einer in sich stimmigen Setfolge: konzentriert, präzise, mit Nachhall im Raum – ein Abend, der nicht auf Effekte zielt, sondern auf Wirkung durch Ausführung und am Ende kurzweilige, starke zwei Stunden andauert. Vielen Dank New Model Army.







